2. Kapitel 1929–1938
Ausschnitt aus der Autobiographie
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Und nun also los – mitten hinein ins tolle Malerleben! Maler werden ist nicht schwer, Maler sein dagegen sehr! könnte man Wilhelm Busch abwandeln. Lassen wir mein eigenes Malerwerden also noch schön beiseite und nehmen wir den schwereren Brocken des Malerseins in Angriff! Der geneigte Leser möge überhaupt gleich zur Kenntnis nehmen, dass ich mich in meiner Disposition nicht immer an die chronologische Folge zu halten beabsichtige, sondern nach Wunsch und Laune geistigere Zusammenhänge suche. Zudem muss ich bekennen, dass mir das angeschlagene Thema auf dem Magen liegt und ich es gerne gleich zu Anfang los wäre.
Ich meine natürlich die Situation in der heutigen Kunst. Wie anders wars doch damals noch, um 1930, als ich den Schulmeisterstock endgültig ablegte und mit Begeisterung den Pinsel in die Hand nahm! Meine Sache hing auch nicht etwa in der Luft. In meiner Kunst fühlte ich mich gereift, hatte von Jahr zu Jahr mehr Interessenten für meine Bilder gefunden, hatte verschiedene Porträtaufträge zur Befriedigung der Besteller erledigt und vor allem, ich hatte mich schon mehrmals mit Bildern an den bernischen Weihnachtsausstellungen beteiligt. Schon dass die gestrenge Jury sie jedes Mal genehmigte, hatte mir ein Plus gegeben. Auch konnte ich damit rechnen, dass mein Name den Künstlern nicht ganz unbekannt war, auch wenn es noch nicht zu persönlichen Kontakten gekommen war.
Dass mein Sprung vom sichern Port eines geregelten monatlichen Einkommens ins Meer ungesicherten Verdienstes nicht von jedermann mit Hurra akzeptiert werde, war freilich vorauszusehen. Besonders mein Bruder und meine Schwestern sahen schwarz. Natürlich schüttelten auch meine werten Lehrerkollegen den Kopf ob meinem Ausbruch aus ihrer ehrsamen Reihe. Dass aber auch die Malergilde mich vor meinem unüberlegten Schritt warnen würde, hätte ich nicht gedacht. Ich war naiv genug, zu erwarten, man würde den neuen Mitstreiter mit offenen Armen empfangen und musste nun feststellen, dass die ortsansässigen Maler mich als Eindringling in ihre Domäne betrachteten und jeglichen Kontakt mit mir vermieden. Das war ein herber Schlag für den Neuling, gab mir aber anderseits volle Unabhängigkeit in meinem künstlerischen Schaffen.
Wir hatten eine Wohnung im zweiten Stock einer Schreinerei in Hünibach, nahe bei Thun, gemietet. Im Parterre lag die grosse Schreinerwerkstatt mit Fräsen und Hobelmaschinen, die den ganzen Tag lärmten, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte, die den Zementboden ständig vibrieren machten und die Luft in Nebelwolken von Holzstaub hüllten. Hier in einer bescheidenen Ecke nahe der Türe wurde nun ein Verschlag aus Getäfelholz konstruiert, zirka 2½ zu 4 Meter, auf den Boden ein Stück Linoleum gelegt, ein paar wenige Möbel hineingestellt, ein Petrolöfeli, und das Maleratelier war fertig.
Da stand ich nun vor der Staffelei und malte meine ersten Bilder als freier Maler mit Schwung und Enthusiasmus. Die Schreinerei sorgte für Rahmen, so gut und schlecht es ging, und ich strich mit Bronze schön goldig an. So war nur noch die Frage zu klären: Wie komme ich ans werte Publikum? Kannten wir doch kein Bein in Thun und Umgebung. Doch wer mich als weltfremden Schwärmer eingeschätzt hatte, muss erstaunt gewesen sein, wie rasch ich mit dem Publikum in Kontakt kam. Freilich geht dieser Erfolg nicht ausschliesslich auf meine Rechnung: Die Vorsehung hatte das ihre dazu beigetragen, indem sie mir den dafür geeignetsten Ort zugewiesen hatte. Das Haus lag an einer Strasse, auf der an schönen Sonntagen eine Menge Thuner spazieren gingen. Da musste nur ein Schaufenster her und der Mut, etwas nicht Herkömmliches, ja bei den Malern Verpöntes zu unternehmen. Und siehe, ein Schaufenster liess sich leicht herstellen, und die Courage, den Thuner Malern die Stirne zu bieten, hatte ich auch, und bald zierten meine noch kaum trockenen Werke das Atelierfenster. Ich besinne mich noch heute, wie meine guten Kinder ihren Spass daran hatten, an schönen Sonntagen hinter dem Vorhang des Schaufensters zu sitzen, gückselnd, ob Leute kommen und horchend, was sie über die Bilder sagen, stürmten sie dann von Zeit zu Zeit in die Wohnung herauf und referierten: «Einer hat gesagt, die Bilder gefallen ihm, eine Frau zum Mann, sie wollen ihr Bethli einmal malen lassen etc.». Wichtig wurde ferner der Eintritt in Vereine, der rasch zu persönlichen Kontakten führte. Martha war bald ein geschätztes Mitglied des Orchesters und ich betätigte mich eifrig im Cäcilienverein. Sodann gab es in Thun eine Kunstgesellschaft, die damals die kulturellen Belange im Allgemeinen betreute, heute aber mehr eine literarische Gesellschaft ist und in der die sogenannt besseren Familien dominierten.
Dann gab mir ein Aktzeichenkurs, den die städtische Gewerbeschule unter der Leitung des Malers Schär durchführte, Gelegenheit, meine lieben Kollegen näher kennen zu lernen. Es waren ihrer nicht wenige und es lohnt, dass ich mich hier etwas ausführlicher mit ihnen befasse. Nur einer, Werner Engel, war Einheimischer von Geburt und Herkommen, Fred Hopf und Alfred Glaus waren erst vor kurzem in die Stadt gezogen, alle übrigen wohnten ausserhalb der Stadt und hatten wenig Kontakt untereinander, war doch jeder irgendwie ein Original für sich. Trotzdem spürte man bald, dass einige unter ihnen zu einer Gruppe zusammengekittet waren, machten sie doch Ausstellungen in Thun, bei denen niemand anderes mithelfen durfte. Sie gaben den Ton an, schimpften weidlich auf das Thuner Publikum, das ihre Ausstellungen wirklich schlecht besuchte und fast nichts kaufte, galten aber trotzdem als die Arrivierten und traten auch uns gegenüber so auf. Der Kitt, der sie zusammenhielt und der Dünkel, der ihren Rücken steifte, resultierten aus ihrer Zugehörigkeit zur Gesellschaft schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten, jener umfangreichen Malervereinigung, die einst Ferdinand Hodler gegründet hatte und über die ich später noch einige Worte verlieren werde. Von den 8 Malern, die damals fast alle im besten Mannesalter, d.h. zwischen 35 und 55 Jahren standen, leben heute nur noch ihrer zwei, Glaus und Schär, und es möchte für die Nachwelt interessant sein, einiges über jeden Einzelnen zu erfahren.
Vom Altmeister Colombi, der in Spiez lebte, hörte und sah man wenig mehr. Einst einer der bekanntesten schweizerischen Landschaftsmaler und geschätzter Aquarellist, war es verhältnismässig früh still um ihn geworden. Auch der zeusbärtige U. W. Züricher, wohnhaft in Sigriswil, im Thuner Mädchenseminar als Zeichenlehrer tätig, schien bei seinen geschätzten Kollegen arg ins Hintertreffen geraten zu sein. Er malte zumeist volkstümliche Sujets in trockener, wenig malerischer Art. Man hörte auch, er schriftstellere. Aber die Literaten finden, er sei ein schlechter Schriftsteller und ein guter Maler und die Maler, er sei ein schlechter Maler und ein guter Schriftsteller. Da war auch Fred Hopf, in Beatenberg und später in Thun tätig, der letzte Mohikaner, der unentwegt mit Staffelei und Farbkasten in die Natur hinaus zog, trotzdem das nur noch den Dilettanten gestattet war. Er malte in lockerer impressionistischer Art heitere Aare- und Seelandschaften, war aber ständig in Geldnot. Er schimpfte ständig über seine Verwandtschaft, die ihm, obwohl gut situiert, nichts abkaufte. Seine Frau, eine Deutsche, die kein Mensch leiden mochte, lief ihm überallhin nach. Als er später, 68-jährig, starb, kaufte die Stadt der Frau seinen ganzen Nachlass ab, etwa 200 Bilder für 22’000 Franken. Frau Hopf lebte aber auch nicht mehr lang, sodass die Verwandten die 16’000 übriggebliebenen Franken erbten und sich der arme Maler im Grabe umgedreht haben soll. An Brack erinnere ich mich kaum mehr. Er wohnte in Dürrenast, ist aber schon bald weggezogen, und man hörte wenig Erfreuliches mehr von ihm. Seine Landschaften hatten etwas Blasses, Melancholisches. Länger muss ich mit Werner Engel befassen, der später mein Nachbar wurde. Es ist nicht so einfach, ihm und seinem Werk gerecht zu werden, und ich muss betonen, dass, was ich hier schreibe, meine rein persönliche Ansicht ist. Er war aus wohlhabendem Haus, angesehener Familie und hätte alle Trümpfe in seiner Hand gehabt, aber sein Jugendelan machte bald einer Skepsis Platz, ja, er glaubte nicht mehr an seine Berufung als Maler, wie er mir selber gestand. Er zog auch die Konsequenz und legte etwa ein Jahrzehnt die Pinsel ganz beiseite, indem er Zeit und Kraft der Christian Science widmete. Dass er dann schon mit 60 Jahren an einer Thrombose sterben musste, war wie eine Ironie des Schicksals. Dieser harte Mann hat damals das Kunstgeschehen in Thun dirigiert, und ausgerechnet meine ganz anders geartete Wenigkeit musste in dieses starre Regime einbrechen. Die Persönlichkeit spiegelt sich im Werk Werner Engels deutlich: Er ist mehr Zeichner als Maler. Seine Holzschnitte sind ohne Zweifel das Beste, und auch sein mit holzschnittartigen Federzeichnungen versehenes Buch Mein Thun ist in jeder Beziehung sympathisch.
Früh verstorben ist auch der Amsoldinger Maler Wenger, vorher Gartenbau-Architekt, sicher kaum 40 Jahre alt, ohne ein quantitativ grosses Werk zu hinterlassen. Es war schade um diesen wohl begabtesten Künstler der Gegend.
Der geneigte Leser gestatte mir einen kurzen Schnauf zu tun, bevor ich noch die zwei letzten Kollegen Schär und Glaus, die einzigen, die heut noch am Leben sind, in Angriff nehme. Es war für mich bemühend, Tote Spiessruten laufen lassen zu müssen, das mag man schon am trockenen Stil merken, in dem ihre Lebensbeschreibungen ausgefallen sind. Sie schienen mir aber unumgänglich zur Abklärung meiner Beziehungen zur Garde meiner damaligen Kollegen, dies besonders in Anbetracht der bitteren Tatsache, dass ihre stolzen Namen heute schon fast vergessen wären, wenn nicht die städtische Kunstsammlung wenigstens hie und da eines ihrer Werke ausstellen würde.
Nehmen wir von den zwei noch lebenden Malern aus jener Zeit Robert Schär vorweg! Ein kleiner, aufrechter Herr mit Haarbüscheln über den Ohren und pathetischem Gehaben, erinnerte er mich immer irgendwie an einen kleinen Gernegross. Seine Frau war Lehrerin im Amt und sie besassen ein schönes, neues Haus in Steffisburg. Von der Keramik herkommend, gab er noch Jahrzehnte Zeichenstunden an der städtischen Gewerbeschule. Schon früh hat er sich auf die Glasmalerei verlegt. Auch er lebte ganz für sich, und ich sah ihn höchstens bei Vernissagen in Thun.
Anders Alfred Glaus. Auch er hatte eine Lehrerin geheiratet, in der Bergwelt gewohnt und gemalt, war mit Schriftstellern und Musikern befreundet und war und fühlte sich gleichsam als eine Kapazität, als er nicht lange vor mir nach Thun kam. Der baldige Tod seiner Frau, die ihn mit vier kleinen Kindern allein liess, hat den vorher nicht unjovialen Mann zum Einsiedler gemacht. In seiner Kunst kam er von Ferdinand Hodler her, war aber in seinem Wesen Romantiker und musste Jahrzehnte lang um einen Ausgleich ringen. Dazu kamen zeitweise finanzielle Schwierigkeiten, bis die Kinder gross waren. Erst nach dem Tod Werner Engels 1941 sollte seine grosse Zeit anbrechen, doch davon später.
Einzelgänger, Einzelgänger, Maler und alles Einzelgänger!
Wenn ich Markus Jakobi an den Schluss dieser illustren Gesellschaft nehme, so begehe ich eine gewisse Inkonsequenz, indem ich mich sonst im ganzen bemüht habe, die Herren ihrem Alter nach auftreten zu lassen, denn Jakobi war sicher älter als die beiden Vorhergehenden. Er war noch einsamer als die andern, einmal seiner Schwerhörigkeit wegen, anderseits, weil er weit ab in Merligen wohnte und drittens aus künstlerischen Gründen. Er malte nämlich und malt wohl heut noch Bilder im Salonstil, vor allem Thunerseebilder, als ob es nie einen Ferdinand Hodler gegeben hätte.
Mit dem Namen Ferdinand Hodler ist ein Stichwort gegeben, denn diese Männer waren typisch die Nachgeneration. Nicht dass sie seinen Stil übernommen hätten und nur Glaus nahm ihn als Ausgangspunkt. Der Einfluss jenes ganz Grossen prägte sich mehr in der geistigen Haltung dieser Generation aus. Hodler wurde empfunden als Überwinder des 19. Jahrhunderts und Schöpfer einer neuen, männlichen, unsentimentalen, unliterarischen Kunst. Sie mögen sich der reinen Lehre einer alleinseligmachenden Kirche gefühlt haben, deshalb ihre schroffe Haltung gegenüber einem Publikum, das ihnen nicht genügend zu folgen vermochte, ihre Ausstellungen nur noch mangelhaft besuchte und nur wenig kaufte. Übrigens ist nicht zu vergessen, dass die Wirtschaftskrise damals neu ausbrach und ein neuer Zuwachs an Konkurrenz die prekäre Situation nur verschärfen konnte, in der sich jene Maler befanden, soweit sie nicht von Haus aus wohlhabend waren oder Lehrerinnen als Frauen hatten.
Item – ich selber stand glücklich und unbesorgt vor meiner Staffelei und malte, malte, malte: Kinder vor allem, die eigenen und die der Umgebung, Blumen auch und zog, wenn’s mir gefiel, in die Landschaft hinaus. Wenn neben mir die Fräse stundenlang lärmte, sang ich so laut, dass ich sie nicht mehr hörte. Einzig die Kälte machte mir hie und da zu schaffen, so wenig empfindlich ich bin. Die Holzwand meines Ateliers war ja nicht bis zur Decke geführt, die Schreinerei gewöhnlich ungeheizt und da war es denn kein Wunder, dass mein armes Petrolöfeli gelegentlich den aussichtslosen Kampf gegen die Kälte aufgab. Eine penible Situation! und erwies sich doch nach zwei Richtungen als bedeutsam: die Beschränkung auf den Wohnraum brachte mit sich, dass ich eine ganze Serie von Federzeichnungen nach unsrer Jüngsten, dem Susi, anfertigte, und die zur Herausgabe meines erfolgreichen Susibüchleins führen sollte. Die zweite glückliche Wirkung einer unglücklichen Tatsache war, dass ich mit einem Herrn Matter bekannt wurde, einem kauzigen Junggesellen und blutigen Kunstdilettanten, der ein Haus in der Nachbarschaft besass und mir vorschlug, nach Belieben sein Atelier zu benützen. Aus ärmsten Verhältnissen hatte er sich als Herrenschneider in Davos durch Geschicklichkeit, Fleiss, Genügsamkeit und Glück zum vermöglichen Mann emporgearbeitet. Sein Hobby für die Kunst war dadurch entstanden, dass er hie und da von armen Malern Gemälde an Zahlungsstatt angenommen hatte, vor allem eine ganze Anzahl von Ludwig Kirchner, der damals in Davos lebte. Auch mir kaufte er trotz seiner Sparsamkeit immer wieder kleinere Bilder ab, freilich nie, ohne um den Preis zu markten. Wir malten nun in der Folge zusammen, beide mit gleicher Begeisterung, oft natürlich auch die gleichen Sujets, wobei er sich an mich anlehnen konnte, ohne mir Stundengeld zahlen zu müssen. Die grösste Befriedigung empfand er aber sichtlich darin, seine Machwerke zwischen denen von Kirchner, mir und andern Berufsmalern hängen zu sehen und sich so auf gleich und gleich mit ihnen zu fühlen. Ein Spiessbürger war er so wenig wie ich und erstaunlich war, wie er seine mangelhafte Schulbildung später nachgeholt haben muss. Beide waren wir literarisch interessiert und auf Gedichte versessen. Wie oft gerieten wir ins Rezitieren! Dabei reichte unser Repertoire weiträumig von Schiller und Goethe über Eichendorff, Heine, Uhland, Lilienkron, Geibel, Busch, Arno Holtz, Dehmel, Franz Werfel bis zu den Dadaisten – o burubu hihi, wobei ihm das Maestoso, mir das Scherzando am besten lag. Alles natürlich neben dem Malen her und um mich von der Arbeit abzulenken. Wie weit ich meinen Schüler freilich zu fördern wusste, kann ich nicht mehr sagen. Trotz seines massvollen Lebenswandels ist er nämlich sehr früh gestorben. Für mich war diese Episode aber wichtig als Auftakt zu meiner umfangreichen Lehrtätigkeit, über die ich in einem späteren Abschnitt berichten werde.
In Thun habe ich mich dem Publikum erstmals 1931 durch eine kleine Ausstellung im Schaufenster der alten Amtsersparniskasse am Lauitor vorgestellt, sonst eigentlich eine Ausstellungsgelegenheit für Dilettanten, von der Malergilde gemieden. Ich aber dachte: Warum nicht einmal Gutes zeigen, wo man sonst Kitsch sieht! und hatte auch wirklich einen bescheidenen Verkaufserfolg. Den grossen Erfolg sollte mir aber die Schadauausstellung im Sommer 1932 bringen. Es war eine Ausstellung der Sektion Bern der Gesellschaft schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten, gewöhnlich GSMBA genannt, der grossen Korporation, in der Maler zusammengefasst sein sollten. An die Aufnahme in diesen alles offizielle Kunstgeschehen dirigierenden Verein waren verschiedene schwierige Bedingungen geknüpft, über die ich mich später noch auslassen werde. Die Kunstgesellschaft Thun hatte die Durchführung der Ausstellung, zu der die Stadt das Schloss Schadau zur Verfügung stellte, in der Hand. Sie stellte aber die Bedingung, dass alle ihre Mitglieder, soweit sie Maler im Hauptberuf waren, sollten mitausstellen dürfen. Das gab nun ein grosses Hin und Her, bis endlich ein salomonisches Urteil entschied, dass wir Nichtinkorporierten im Dachstock Unterschlupf fanden. Wir waren unser 6: Clare, Tschabold, Zaugg, Frau Pflugshaupt und ich als Maler und Schmalz als Plastiker. Wir hatten den Vorteil, dass unsere Ausstellung juryfrei war und dass wir pro Maler bedeutend mehr Bilder liefern konnten, aber den Nachteil, dass unsere Werke im Katalog nicht aufgeführt waren und die Besucher nur auf einer engen und steilen Wendeltreppe aus Eisen zu uns gelangen konnten, falls sie den Aufstieg überhaupt wagten. Trotz solchem Handicap war unserer Abteilung ein prächtiger Erfolg beschieden. Ich allein konnte damals fünf Bilder verkaufen, während unten die anerkannten Künstler fast leer ausblieben. Dieses Plus gab den Auftrieb zu einem sofortigen nähern Zusammenschluss unserer Gruppe, und ich halte es für nützlich, deren Schicksale ein separates Kapitel zu widmen.
Im Zeichen des Triumphes gegenüber der Clique starteten wir schon im Oktober desselben Jahres unsere Freie Gruppe bernischer Maler und Bildhauer mit grossem Elan. Die 8 Mitglieder, die damals zeichneten, waren:
Roman Tschabold, Maler in Steffisburg, wo er ein eigenes neues Haus besass, auch halber Architekt, der sich anfangs sogar Doktor nennen liess, der unsre Gruppe denn auch organisierte und dirigierte, den Geschäftsführer machte, weil wir keinen Präsidenten haben wollten und, wie konnte es anders sein, schon zur Konstituierungs-Sitzung mit Statuten anrückte.
Hans Zaugg, sein Freund, freier Maler als Ehemann der Lehrerin von Kaltacker bei Burgdorf, den ich schon in Basel an der Kunstgewerbeschule kennengelernt hatte. Ein Romantiker, aber praktisch genug, um seinen Einfluss auf die Frauen auszumünzen, schwärmte er schon damals für die Mormonen. Heut residiert er auf einem herrlichen Sitz in Gerzensee.
Walter Krebs, aus ärmlichen Verhältnissen erst vor kurzem durch eine reiche Heirat zum Grossmogul geworden, der in Adelboden ein unerhört luxuriöses Haus im Bau hatte, das ihn freilich bald einmal in die alte Geldklemme bringen sollte – in seiner Kunst ein Erzromantiker, der sich mit Respektlosigkeit an religiöse Themen wagte und dem hauptsächlich die Schuld am schliesslichen Zusammenbruch der Gruppe zuzuschreiben ist. Er wohnt zurzeit in Bern.
Helene Pflugshaupt, verheiratet, aber schon früh Witwe geworden, gut situiert, Anthroposophin, was auch in ihrer Kunst anklingt, weisshaarig, seit ich sie kannte, immer extra geschmackvoll gekleidet, sonst aber fast übertrieben sparsam. Sie war bei uns mehr Gast als Mitglied, da sie auch bei den Malerinnen angeschlossen war. Typus etwas snobistischer Schöngeistigkeit. Wohnte damals in Oberhofen, später in eigenem Haus und Atelier in Faulensee und ist jetzt wieder in Thun ansässig.
Etienne Clare war der einzige namhafte Graphiker in der Gegend. Schon in der Jugend weit herum gekommen, Bohemien, der in bedrängten Umständen schon in Schiffswerften gearbeitet hatte, wohnte und schaffte in Thun, ist aber in der Folge mehrmals umgezogen. Er stand einer stattlichen Familie vor, war oft in Geldnöten und ist seit 8 Jahren mein Ateliernachbar.
C. A. Schmalz, Keramiker und Plastiker, hatte in Heimberg ein Haus mit etwas Landwirtschaft, war Spezialist in Ziertellern.
Paul Gmünder, den kennen Sie. Zu diesen Künstlern im Hauptberuf wurden dann noch zwei Primarlehrer als gleichwertige Mitglieder aufgenommen, die sich bereits über ein beträchtliches Können ausgewiesen hatten und deutlich von den vielen übrigen Dilettanten abstachen. Gegenüber einer beträchtlichen Opposition setzte ich ihre Aufnahme durch. Ich hatte begründeten Verdacht, dass ausser mir die meisten der Berufsmaler nicht von dem Verkauf ihrer Bilder lebten respektive leben mussten.
Fritz Bütikofer, Primarlehrer in Thun, war als Lehrer in Linden mein Kollege gewesen. Ich hatte ihm die Anfangsgründe der Ölmalerei beigebracht, und wir hatten zusammen 1926 Italien durchstreift. Er hatte sich in der Zwischenzeit weiterentwickelt, etwa in der Richtung, wie es die Zeit zu verlangen schien. Ernstes Suchen war ihm aber nicht abzusprechen, und er wurde später sogar in die Sektion Bern der GSMBA aufgenommen.
Max Bohren war in Allmendingen Lehrer, wohnte aber in Thun, war Hausbesitzer, daneben aber ebenso eifriger Sozialist wie Freiwirtschafter. Ich vermute, dass er von inneren Spannungen zum Malen getrieben wurde und dass er später das Malen aufgab, eben weil diese Spannungen aufhörten. Er versuchte mit Hartnäckigkeit, seinem Hang zum Sozialen im Bild Ausdruck zu geben, für die figürliche Gestaltung fehlte ihm aber die zeichnerische Begabung, anders gesagt: Er hatte für seine expressionistischen Absichten nur impressionistische Mittel zur Verfügung.
So wäre unser Fähnlein der Aufrechten gekennzeichnet! Der Situation gemäss waren wir eine Kampfgruppe gegenüber den Alteingesessenen. In den Statuten unterdrückten wir natürlich diese Zweckbestimmung, um die andern nicht vorzeitig zu einem Gegenschlag herauszufordern. Hier war der Zweck in der Hauptsache folgendermassen formuliert: 1. Enge gegenseitige Kontakte, 2. Förderung der Mitglieder durch Zeichenkurse und 3. Kollegiale Mithilfe bei Einzelausstellungen und später jährliche Gruppenausstellungen. Um das Interesse des Publikums zu wecken, sollte jedes Mitglied so viel als möglich Passivmitglieder für die Gruppe werben. Vorgesehen wurde, jedes Jahr eine Mappe mit Zeichnungen und Aquarellen unter ihnen zirkulieren zu lassen, aus der jedes P. M. nach freier Wahl ein Blatt nehmen durfte. Wir hingegen hatten die Pflicht, ständig für die Wiederauffüllung der Mappe zu sorgen. Für jedes herausgenommene Blatt sollte der Hersteller 10 Franken bekommen, während die Gruppenkasse die übrigen 10 Franken einstrich.
So auf dem Papier. Wie die Sache in der Wirklichkeit spielte, werden wir Punkt für Punkt untersuchen und uns vor allem nicht scheuen, die Klippen aufzuspüren, an denen unser Schiff so tragisch scheiterte.
Wenn ich die Protokolle durchlese, die ich über die wichtigsten Zusammenkünfte des Kollegiums verfasst habe – ich musste nämlich schon ein Jahr später das Amt des Geschäftsführers selber übernehmen – wird mir augenfällig, wie eifrig der Kontakt unter uns gewesen sein muss. An Samstagnachmittagen besuchten wir oft gemeinsam auswärtige Mitglieder, damit sie ihre naturgemässe Benachteiligung weniger fühlten. Um unsere Unterhaltung fruchtbar zu gestalten, stellten wir mehrmals künstlerische Aufgaben: Alle mussten das gleiche Thema bearbeiten, und die Resultate wurden dann bei der nächsten Zusammenkunft kritisiert. Das gab Anregung über die gewöhnlichen Kunstgespräche hinaus. Oder jeder musste in primitivster Verkleidung mit den Fetzen, die im Atelier herumlagen, ein bekanntes Bild aus der Kunstgeschichte darzustellen versuchen, so dass die übrigen es erraten konnten. Anregend und unbeschwert war das Beisammensein und wenn Probleme auftauchten wurden sie nach allen Kanten beraten.
So wurde auch schon im Herbst ein Aktzeichenkurs gestartet und ich war Leiter und Organisator. Die Stadt Thun stellte uns gratis ein Schullokal, das zwar für unsern Zweck nicht sehr geeignet war, aber in dem wir mit verbissenem Ernst unsre Zeichenfertigkeit zu vervollkommnen suchten. Natürlich hielten wir in erster Linie uns Leute von der Gruppe bei der Stange, aber auch für andre Kunstbegeisterte war anscheinend einem Bedürfnis abgeholfen, hatten wir in all den Kursen um 15 Teilnehmer und konnten bei billigstem Beitrag jeweilen mit einem Bene abschliessen. Doch über meine Lehrtätigkeit später!
Auch unsre 1. Ausstellung fällt noch auf 1933, freilich in kleinem Rahmen und ohne unsern Namen zu verraten, denn manche fanden eine Exhibition noch verfrüht. Sie war auch keineswegs als Verkaufs-Ausstellung gedacht, sondern als soziale Tat, natürlich von Max Bohren angeregt, nämlich in den Räumen der T. B.-Anstalt Heiligenschwendi durchgeführt, um den Kranken Anregung und Abwechslung zu verschaffen. In einer Reihe von Briefen äusserten sich verschiedene der Zöglinge dann über Bilder, von denen sie besonders angesprochen worden waren. Anschliessend stellten wir in verschiedenen Räumen des Hotels Seehof in Hilterfingen aus und es sollten ähnliche Ausstellungen in Zusammenarbeit mit der Lehrerschaft überall auf dem Land durchgeführt werden. Dazwischen liefen Ausstellungen von Krebs, Zaugg, Tschabold und mir in eifriger Folge auf deren eigene Rechnung, von der Gruppe aber nach Möglichkeit unterstützt. Unsre Lehrerkollegen drangen aber auf eine grosse Gruppenausstellung in Thun, da sie keine Einzelausstellungen machen konnten. Erst rechneten sie mit einer Sommerausstellung, aber das Schloss Schadau, das einzig dafür in Frage kam, war andererseits vermietet und man musste auf den Winter verschieben. Aber auch da kam sie nicht zustande, denn die Mitglieder Tschabold, Clare und Schmalz organisierten heimlich eine Dezemberausstellung unter sich im Hotel Falken. Die beiden Lehrer hielten sich für düpiert und es kam zu einer scharfen Auseinandersetzung, die zum Austritt einer ganzen Reihe von Mitgliedern und zum totalen Zusammenbruch der Freien Gruppe führte.
Weitere Differenzen ergaben sich oder besser hatten sich durch den Umstand ergeben, dass die Passivmitglieder, die Krebs geworben hatte, erklärten, sie wollten als Jahresgabe nur Zeichnungen von Krebs und dieser entschied, er gebe nichts mehr in die umlaufende Mappe und bediene seine Passiven selber. Sonst hatte sich die Sache mit der Mappe und den Passiven, deren Zahl zuletzt auf 40 stieg, gut entwickelt, aber der Versand und das ständige Wiederauffüllen der Mappe bedeuteten eine grosse Arbeitslast für den Geschäftsführer. Eine merkliche Erleichterung brachte der Modus, den Passiven in Thun Gelegenheit zu geben, ihre Blätter in einer Ausstellung auszulesen. Zum letzten Mal noch stellten am 15. Juni 1935 die Mitglieder Bütikofer, Bohren, Zaugg und ich im Beaurivage Thun etwa 50 Blätter zur Auswahl für die etwa 20 verbliebenen Passivmitglieder aus. Sang- und klanglos, sogar ohne eigentlichen Aufgabebeschluss fiel das so hoffnungsvoll begonnene Unternehmen wie so viele andre in jener Krisenzeit zusammen, denn nachdem sich auch Zaugg desinteressiert erklärte, konnte ich mich mit meinen zwei Lehrermalern nicht mehr als Malergruppe ausgeben.
Und doch gab ich nicht auf. Noch bis in die Kriegszeit habe ich unter Verwendung des Namens freie Gruppe meine Aktkurse unentwegt weitergeführt, freilich auf eigene Rechnung. Als zweite Hinterlassenschaft verblieb mir bis heute die Aufbewahrung und Verwaltung der Rupfenballen, die wir für die Ausstellungen angeschafft hatten und bald mir selber und andern, denen wir sie ohne Entgelt ausliehen, eine wertvolle Hilfe sein sollten, besonders in der Kriegs- und Nachkriegszeit, wo man keine Rupfen mehr kaufen konnte. Noch heute vergeht kein Jahr, in dem sie nicht für diesen oder jenen künstlerischen Zweck hervorgeholt wird.
2½ Jahre Freie Gruppe – haben sich unsere Anstrengungen gelohnt? Die künstlerische Anspannung? Ja! Einer nach dem andern wurde in die GSMBA aufgenommen. Der Kampf gegen die Eingesessenen? Ja! Heute stellen 5 von den 6 in Thun und Umgebung lebenden Mitgliedern jährlich um Weihnachten mitten unter den ehemaligen Gegnern ihre Bilder aus. – Und drittens stelle ich die Frage: Konnten wir aus unsern Erfahrungen etwas profitieren? und antworte: Ja, es scheint wenigstens! Unsere heutige Vereinigung Galerie Aarequai ist der Beweis.
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